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Texte von Björn Ziegert

Kurztexte

Alle Texte zum Thema „Kurztexte“.

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JVA Preungesheim

„Zur U-Bahn sind es zehn Minuten. Hier runter und dann den schmalen Gang am Gefängnis längs. Da ist links Stacheldraht und rechts eine Mauer. Finden Sie schon, der ist etwa so breit der Weg.“ Und streckt die Arme leicht auseinander.
Wir gehen los mit müden Beinen. Seit dem Morgen sind wir unterwegs: Rucksack in der Früh gepackt, Thermoskanne Kaffee, Apfelkuchen, richtig viel Apfelkuchen frisch aus dem Ofen, Decke und los, Ned und seine Töle rausgeklingelt und – Sonnenschein, warm, der Himmel ganz blau und alles andere bunt vom Herbst. Nach Norden über den Main und dann rauf auf den Lohrberg, mit diesem Blick auf Frankfurt im Dunst („Ist das da drüben das Kohlekraftwerk?“). Neben uns eine Birke mit fetten ausladenden Ästen, also rauf auf den Baum, denn es ist Pippi Langstrumpftag, und über der Erde im Schneidersitz, mit dem Kaffee in der Hand, raue Borke im Rücken, und alles vollgesogen mit dem milden Herbst und dem Lächeln von der hübschen Frau von vorhin mit dem riesigen roten Schal und der Sonnenbrille.

Stunden später sind wir bis Preungesheim gekommen, es wird schon kalt und dunkelt, also schnell diesen schmalen Gang am Gefängnis finden, und ab zur Bahn. Den Stacheldraht sieht man schon von weitem. Riesige lange Spiralen. Vor dem Zaun, auf dem Zaun, übereinandergestapelt, glänzend und neu („Nato-Draht, bei jeder Bewegung schneidet der sich tiefer ins Fleisch.“). Der Gang ist wirklich schmal, keinen Meter breit, wir gehen hintereinander, der Hund am Ende, müde vom langen Tag. Alle paar Meter ein Schild: „Privatweg der Justizvollzugsanstalt!“
Hinter dem Zaun ist kein Mensch. Kameras, ein paar niedrige Werkstattgebäude, leere Asphaltfläche. Weiter hinten sind Mauern zu sehen, in verschiedener Höhe, ineinander verschachtelt. Der Weg biegt nach links, und wir laufen frontal auf das Haupttor zu. Schiebetüren aus mannsdickem Stahl in einer hohen Betonwand. Ned schätzt mindestens zwölf Meter hoch. Symmetrische Platten aus Beton. Ganz glatt. Dunkelgrau und glänzend, keine Verfärbung, alles neu.
Wir müssen rechts die Straße runter. An der Mauer entlang. Es gibt keinen Trennstreifen, keinen vorgelagerten Zaun. Wir gehen auf der Straße und eine Armlänge von uns jagen zwölf Meter Beton in den Himmel. Ich bleibe stehen, irgendetwas stimmt nicht. Der Hund schnauft. Nur sein Schnaufen ist zu hören, sonst ist es still. Kein einziges Geräusch hinter der Gefängnismauer. Kein Klappern, keine entfernte Lüftungsanlage, kein Brummen, kein Rauschen, absolut nichts. Wir warten, minutenlang auf irgendeinen Ton. Nichts.
Ned schaut mich an, ballt die Hand zur Faust und schlägt zweimal mit den Knöcheln gegen die Mauer. Das ist laut. Zweimal läuft ein dumpfes Peitschen durch den Beton. Dann wieder Stille.
Keine Antwort.

Die Hofmann-Geschichte

„Und ich dachte an ‘ne halbe, oder ‘ne viertel, aber zwei ganze! Und das wurde so hart! Ich lief dann auf der Party herum, und an allen Leuten lief Blut ‘runter, alles voller Blut. Und ich bin so ran und hab‘ ganz vorsichtig gefragt ‚Ey, seid ihr ok?‘ Und die so ‚Hä? Was is’n mit dem los?‘ Und dann hab‘ ich schon gemerkt, daß irgendwas nicht stimmt und bin raus. Und draußen auf der Straße war alles voller Polizisten, wirklich jeder hatte Uniform an. Auch ein Kinderwagen, der die Farben von so ‘nem Bullenwagen hatte, und das Baby! Mit Mütze und grüner Jacke!“
„War Dir denn klar, daß das Halluzinationen waren?“
„Ich musste davon ausgehen.“
 

"Komm besser heute!"

Intensivstation, wir warten in der Schleuse. Kleiner Raum, vier Stühle an der Wand, grüne Kittel im Regal. Neben der offenen Tür hängt ein Schild„Nur nach Aufforderung eintreten!“ Der Geruch von Sterillium weht herein. Man hört Pumpen, die Luft aus Schläuchen saugen, und das Piepsen der Herzmonitore. Eine Frau feudelt den Boden, schaut nicht auf, duckt sich unter unseren Blicken. Sie wringt den Feudel aus und lässt ihn auf den Boden klatschen, schiebt ihn vor und zurück, langsam und ganz im Rhythmus der Maschinen, die pumpen oder saugen oder grollend anspringen.

So sieht es also aus. So oder so ähnlich. Was für ein beschissener Ort zum Sterben.

Waldorfschule, Zeugnistag

Me /Kl.1 / Wotan P.

Wotan erfreut uns durch sein düsteres und missmutiges Wesen, das sich in erfrischender Weise von den anderen Kindern unterscheidet.

Müde und verschlafen, immer einen Kaffee in der Hand, betrat Wotan morgens das Klassenzimmer. Seine tiefen Augenringe und die roten Augen ließen erahnen, daß er in der Nacht zuvor viel erlebt hatte, und oft wusste er im Morgenkreis davon zu berichten.
War zu Beginn des Tages eine Hindernisbahn aus Bänken und Tischen aufgebaut
um die fein- und grobmotorische Koordination zu üben so zeigte sich Wotan anfangs scheu und zurückhaltend, öffnete sich aber im Laufe des Jahres für seine Körperlichkeit. Oft stellte er nun auf den wackeligen Parcourbänken den anderen Kindern ein Bein. Und immer gab es ein großes Hallo, wenn er einen Besenstiel zur Hand nahm, und einem balancierenden Kind einen Knöchel oder das Knie zerschlug.
Im rhythmisch-musikalischen Teil fand Wotan nur zögerlich ins Tun. Besonders die chorischen Gesänge fielen ihm schwer. Seine ‚Satanas‘-Rufe drangen zwar mit voller Lautstärke durch den Raum, fügten sich aber selten in den Fluss der Stimmen ein. Aufmunternde Zeichen von seiner Lehrerin halfen ihm dann, und Wotan kam immer besser in die Nachahmung zurück. Das chorische Singen bleibt aber zu üben, seine begleitenden Gesten entsprechen nicht den Vorgaben.
Wotan gestaltete seine Epochenhefte sehr schön und liebevoll. So wurden gepresste Frösche oder in Scheiben geschnittene Jungvögel auf die Seiten geklebt. Auch verzierte er die Bilder mit benutzten Spritzen oder Nadeln
die er wohl auf dem Spielplatz gefunden hatte (sein Angebot, eine Fleißarbeit zu diesem Thema zu erstellen, wurde in Rücksprache mit dem Direktor auf das zweite Schuljahr verschoben).Wotans Epochenhefte sind für die Klassengemeinschaft ein Quell der Freude.
In seinen Buchstabenbilder fand sich Stacheldraht. Er zeigte auch ein gutes Gespür für Klingen und Altmetall. Gerne griff er in seine unerschöpflichen Hosentaschen, wenn eines der anderen Kinder zu ihm kam, und nach Draht oder nach einer Schnappfalle fragte (und nie ließ er sie gehen, ohne ihnen einen kräftigen Schluck Birnenschnaps anzubieten).
Im Erzählteil verband sich Wotan auf schöne Weise mit der Märchenwelt. Aufgeregt forderte er, die Bösewichte ‚auszuknipsen‘ oder ‚wegzumachen‘. Hier wird sein Sinn für Gerechtigkeit sichtbar.
Bei unseren Ausflügen erwies sich Wotan als ausdauernder Wanderer, der Wind und Wetter trotzte. Seine Offenheit und Kontaktfreude zeigte sich besonders in der Hafengegend. Viele Arbeiter schienen ihn zu kennen, und immer huschte ein feines Lächeln über sein Gesicht, wenn ihm einer dieser breiten Kerle einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter gab. Wotan führte uns auch in versteckte Gassen, und stellte uns russische oder ukrainische Mädchen vor. Immer hatte er dann lustige Spielideen, die für sein Alter recht ungewöhnlich sind.
Auf dem Pausenhof hat Wotan schnell in die Gemeinschaft hineingefunden. Meist spielt er mit einer großen Gruppe ‚Aufessen!‘, oder er klettert mit seinen Freunden auf das Dach der Schule und wirft brennende Pappkartons in die Schornsteine.
Er hat einen ausgeprägten Sinn für Regeln, die er jedoch nicht immer auf sich selbst anzuwenden weiß. So war er auch nach dem bedrückenden Vorfall im Januar nicht bereit, sein Taschenmesser abzugeben. Hier ist Übung nötig, damit er sich mit den Vorgaben seiner Lehrerin noch besser verbindet.
Wotans Hass und seine Verachtung haben viel Neues in die Klassengemeinschaft gebracht. Da er Lernen ablehnt und schon mal zornig wird, wenn er an die Tafel kommen soll, braucht er im zweiten Schuljahr noch etwas Ansprache, damit er besser in den Strom des Unterrichtsgeschehens findet. Mögen ihm die wohlverdienten Sommerferien die Kraft dafür schenken.

Sinnspruch für das zweite Schuljahr:
Finstrer Ort und finstrer Sinn,
Nun blühen die Rosen drüber hin.
(Theodor Fontane, Königs Wusterhausen)

Spessart, letzte Tage

Tag 5
Nur noch Schnee. Wenn ich die Augen schließe, tauchen Bilder von verschneiten Wäldern auf.

Tag 6
Eine Holzbank auf Gleis 2. Ich warte auf den Regionalzug und esse Berliner aus der Tüte.
Ein Güterzug rauscht durch. Vor meiner Nasenspitze. Voller Lärm nach sechs Tagen Stille. Stahlräder auf Stahlgleisen und richtig Bass.
Ich find’s wunderbar. Wie im Club: Breitseite auf die Ohren.
Und dann noch die Berliner.

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