15. Nov
JVA Preungesheim
„Zur U-Bahn sind es zehn Minuten. Hier runter und dann den schmalen Gang am Gefängnis längs. Da ist links Stacheldraht und rechts eine Mauer. Finden Sie schon, der ist etwa so breit der Weg.“ Und streckt die Arme leicht auseinander.
Wir gehen los mit müden Beinen. Seit dem Morgen sind wir unterwegs: Rucksack in der Früh gepackt, Thermoskanne Kaffee, Apfelkuchen, richtig viel Apfelkuchen frisch aus dem Ofen, Decke und los, Ned und seine Töle rausgeklingelt und – Sonnenschein, warm, der Himmel ganz blau und alles andere bunt vom Herbst. Nach Norden über den Main und dann rauf auf den Lohrberg, mit diesem Blick auf Frankfurt im Dunst („Ist das da drüben das Kohlekraftwerk?“). Neben uns eine Birke mit fetten ausladenden Ästen, also rauf auf den Baum, denn es ist Pippi Langstrumpftag, und über der Erde im Schneidersitz, mit dem Kaffee in der Hand, raue Borke im Rücken, und alles vollgesogen mit dem milden Herbst und dem Lächeln von der hübschen Frau von vorhin mit dem riesigen roten Schal und der Sonnenbrille.
Stunden später sind wir bis Preungesheim gekommen, es wird schon kalt und dunkelt, also schnell diesen schmalen Gang am Gefängnis finden, und ab zur Bahn. Den Stacheldraht sieht man schon von weitem. Riesige lange Spiralen. Vor dem Zaun, auf dem Zaun, übereinandergestapelt, glänzend und neu („Nato-Draht, bei jeder Bewegung schneidet der sich tiefer ins Fleisch.“). Der Gang ist wirklich schmal, keinen Meter breit, wir gehen hintereinander, der Hund am Ende, müde vom langen Tag. Alle paar Meter ein Schild: „Privatweg der Justizvollzugsanstalt!“
Hinter dem Zaun ist kein Mensch. Kameras, ein paar niedrige Werkstattgebäude, leere Asphaltfläche. Weiter hinten sind Mauern zu sehen, in verschiedener Höhe, ineinander verschachtelt. Der Weg biegt nach links, und wir laufen frontal auf das Haupttor zu. Schiebetüren aus mannsdickem Stahl in einer hohen Betonwand. Ned schätzt mindestens zwölf Meter hoch. Symmetrische Platten aus Beton. Ganz glatt. Dunkelgrau und glänzend, keine Verfärbung, alles neu.
Wir müssen rechts die Straße runter. An der Mauer entlang. Es gibt keinen Trennstreifen, keinen vorgelagerten Zaun. Wir gehen auf der Straße und eine Armlänge von uns jagen zwölf Meter Beton in den Himmel. Ich bleibe stehen, irgendetwas stimmt nicht. Der Hund schnauft. Nur sein Schnaufen ist zu hören, sonst ist es still. Kein einziges Geräusch hinter der Gefängnismauer. Kein Klappern, keine entfernte Lüftungsanlage, kein Brummen, kein Rauschen, absolut nichts. Wir warten, minutenlang auf irgendeinen Ton. Nichts.
Ned schaut mich an, ballt die Hand zur Faust und schlägt zweimal mit den Knöcheln gegen die Mauer. Das ist laut. Zweimal läuft ein dumpfes Peitschen durch den Beton. Dann wieder Stille.
Keine Antwort.